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Der E-Mail-Wechsel zwischen Bernhard und seinen Eltern erfolgte seit Aufnahme seines Studiums im September 2002 regelmäßig. Fast jeden Tag, manchmal auch nur jeden zweiten Tag und sehr selten nur nach drei Tagen kam eine e-Mail aus Peking von unserem Sohn an. Manchmal bestand die Nachricht nur aus einem einzigen Satz, manchmal schrieb er längere Texte. Jeden Morgen setzte ich mich als erstes an den PC und schaute nach, ob Post von meinem Sohn da war. Und immer war es für mich im wahrsten Sinn des Wortes ein Lebenszeichen von ihm.

Im Dezember trat eine ungewöhnliche e-Mail-Pause ein. Am 14.12. schrieb er wie üblich eine e-Mail. Sie war kurz, belanglos und bestand aus zwei Zeilen.

Danach folgte ein Pause von sechs Tagen, und das war ungewöhnlich. Seit Bernhard in China war, gab es keine so lange Zeit, in der er sich nicht gemeldet hatte.

Dann kam die nächste Nachricht am 20.12.2006, die mich sehr erschreckte. Ich einige Tage zuvor im Internet gelesen, daß in diesem Jahr (also in 2006) die Behörden in China und auch in Peking vor Weihnachten besonders scharf gegen Untergrundkirchen vorgingen. Da dachte ich zwar an Bernhard, aber habe dem weiter keine Bedeutung beigemessen. Ich hielt diese Untergrundkirchen für eine etwas ominöse Sache, vielleicht für etwas, was gar nicht oder kaum existent war. Außerdem dachte ich, daß Ausländer in China sicher sind. Aber beim Lesen dieser e-Mail fiel mir dies wieder ein. Ich fragte sofort bei Bernhard zurück, was das zu bedeuten habe, und er wiegelte ab.

Einen Tag später, am 21. Dezember 2006 nachmittags klingelte bei uns in Köln gegen 15 Uhr das Telefon. Ich war allein zuhause, nahm den Hörer ab und der Anrufer sagte: "Hier ist der Bernhard."

Telefongespräche zwischen uns waren nicht üblich, und ich erschrak. Bernhard sagte zu mir, wir sollten ihn in Peking abholen (gemeint war: mit all seinem Gepäck, aber das verstand ich erst viele Wochen später). Es sollte sofort sein und nicht erst zu dem Semesterende Mitte Januar des folgendes Jahres. Auf die Frage nach dem Grund antwortete er, er fühle sich bedroht, und die Bedrohung sei mehr politischer Art.

Ich erklärte ihm, daß wir vor Weihnachten kein Visum mehr erhalten könnten, aber daß doch er selbst am nächsten Tag sofort zunächst ohne Gepäck nachhause fliegen sollte. Ein Flugticket für standby-Flug hatte er stets dabei. Bernhard sagte zu, am nächsten Tag nachhause zu fliegen.

Am nächsten Morgen hätte Bernhard eigentlich mit Flugzeug auf dem Weg nachhause sein sollen. Aber ich erhielt stattdessen eine e-Mail von ihm, in welcher stand:

Die e-Mail hat er geschrieben am 22. Dezember 2006 um 2.18 Uhr Westeuropäische Normalzeit. In Peking war es da 9.18 Uhr.

Wir haben später teilweise herausfinden können, was Bernhard dann an diesem Tag tat. Er fuhr zum Kempinski-Hotel und betrat dort das Restaurant um 11.05 Uhr, bestellte sich eine Kleinigkeit zu essen und trank 2 Gläser Apfelsaft und verließ das Restaurant wieder um 11.57 Uhr. Dabei bezahlte er mit seiner Visa-Karte. Die Abrechnungen für diese Visa-Karte liefen über das Konto seines Vaters, und als er später diese Abrechnung las, fragte er beim Kempinski-Hotel nach. Das Hotel schickte ihm eine Kopie des Zahlungsbeleges, den Bernhard unterschrieben hatte. Später überließ uns das Hotel auf unsere Bitte hin auch sofort die Bilder der routinemäßigen Überwachungs-Video-Kamera, von der aufgezeichnet wurde, wie Bernhard das Restaurant betreten und auch wieder verlassen hatte.

Bernhard (Bild Mitte, mit Mütze) an seinem letzten Lebenstag

Wir wissen auch, daß Bernhard an diesem Tag von seinem Bankkonto 100 Euro abgehoben und in Yuan umgewechselt hat. Das ist etwa der Betrag, den er für das tägliche Leben in ungefähr zwei bis drei Wochen üblicherweise ausgab.

Nachdem Bernhard im Kempinski-Hotel und bei der Bank gewesen war (ob er an diesem Tag noch an einem anderen Ort war und was er sonst tat, wissen wir nicht), schrieb er , immer noch am 22. Dezember 2006, um 9.31 Uhr Westeuropäische Normalzeit (um diese Zeit war es in Peking 16.31 Uhr) eine e-Mail an mich, und zwar vermutlich aus dem Computerraum seiner Universität:

 

Ich schrieb ihm eine e-Mail zurück, aber ich weiß nicht, ob er sie noch gelesen hat.

Von ihm kam keine Nachricht mehr.

Am frühen Morgen des 24. Dezember schickte ich an Bernhard um 00.40 Uhr eine Weihnachts-E-Mail mit folgendem Text, ähnlich wie im Jahr zuvor an Weihnachten:

 

Lieber Bernhard (ich nannte ihn nicht Bernhard, sondern bei seinem Kosenamen),

obwohl es erst kurz nach Mitternacht ist, ist der Heilige Abend angebrochen, und damit haben wir Weihnachten.

Bestimmt ist die Kirche in Peking wieder festlich geschmueckt und es gibt wohl auch einen feierlichen Gottesdienst, den Du besuchen wirst. Schade, dass wir nicht dabei sein koennen ... ich freue mich, dass Du in etwa drei Wochen schon kommst; die Zeit wird schnell vergehen und das wird schon bald sein.

Lieber …, bitte suche noch einmal gruendlich, ob Du Dein Flugticket findest. Wenn nicht, schreibe uns das bitte bald, denn dann muessten wir Dir schon schnell noch eines rechtzeitig schicken!

Unabhaengig davon kannst Du auch vorher jederzeit schnell nachhause fliegen und Dir ein Ticket am Flughafen kaufen, natuerlich zu dem Preis, wie das der Papa kauft. Wenn Du nicht mehr weisst, wie das geht, dann frage ihn bitte noch einmal und er wird Dir das genau schreiben. Bitte schreibe auch, wann und ob Papa kommen soll; fruehester Termin waere, wie schon gesagt, der 27. Dezember, weil vorher die Visumstelle in Frankfurt wegen der Weihnachtsfeiertage geschlossen ist.

Lieber …, ich denke dieser Tage oft an Dich und hoffe, dass es Dir gut geht. Ich freue mich, wenn Du bald kommst und wir ueber dies und das reden koennen.

Nun wuensche ich Dir ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, auch von Papa. Da ja das Schicken eines Paeckchens zu umstaendlich gewesen waere bzw. weil Du da immer extra zum Flughafen fahren muesstest zum Abholen, haben wir auch keines abgeschickt. Ich lege Dir ein bisschen Geld in Dein Zimmer, dann kannst Du Dir selbst etwas dafuer kaufen, was Du Dir wuenscht.

Einen sehr lieben Gruss, heute einen Weihnachtsgruss, von Deiner Mama!

Bernhard lebte zu dieser Zeit nicht mehr - das sollten wir einige Stunden später erfahren.

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