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Zu der Zeit, als Bernhard ums Leben kam, betrieb ich im Internet ein Diskussionsforum. Zehn Minuten nach Erhalt der Todesnachricht, war ich zu meinem PC gegangen und hatte um 10.03 Uhr in dieses Forum geschrieben: "Die chinesischen Behörden haben meinen Sohn umgebracht." Die Beiträge, die am unmittelbar nach dem Tod meines Sohnes bis mehrere Wochen danach geschrieben wurden, sind hier nachzulesen.
Die Teilnehmer aus dem Forum haben sofort und unmittelbar sehr viel Anteil genommen. Und als mein Mann am 26. Dezember nach Peking aufbrach und ich allein zuhause war, hat mir die Kommunikation über dieses Forum, wo sich zu dieser Zeit alles nur um dieses schreckliche Ereignis drehte, wenigstens ein wenig über diese Zeit hinweggeholfen. Einer der Teilnehmer rief mich jeden Tag an, bis mein Mann aus Peking wieder zurück war.
Am 2. Januar 2007 beteiligte sich eine Person an der Diskussion, die zuvor noch nie dort geschrieben hatte. Sie schrieb:
Beachte dies Datum:_____________da toetete jemand Bernhard _______________
22.12.06 - China:
Eine Gruppe Polizisten und nicht identifizierter Personen
ist in das Haus einer Missionarin in einer Pekinger Hauskirche eingebrochen.
Die Ordnungskräfte misshandelten nach Angaben des römischen Nachrichtendienstes Asianews die anwesenden Gläubigen und verhafteten sie.
Kurz zuvor wurden zwei christliche Religionsführer aus Xiaoshan verhaftet, die gegen die Zerstörung ihrer Kirche protestiert haben sollen.
Der Hilfsorganisation "China Aid" zufolge hatten wenige Tage zuvor Unbekannte einige ehemalige Kollegen der Missionarin überfallen und misshandelt. (asianews)- Das war in Peking und konnte Bernhard mit einbezogen haben!
Diese Nachricht fand ich dann auch auf der Seite von Radio Vatikan vom 22.12.2006.
Ich fand bei der Recherche weiter heraus, daß es auf www.chinaaid.org - eine Seite, die regelmäßig über Christenverfolgungen in China berichtet - eine ähnliche Meldung gab. Hier war auch noch der Hinweis auf den Pekinger Stadtteil Haidian - dort wohnte Bernhard.
Damit hatte ich die für mich neue Information, daß offenbar regelmäßig Razzien auf Gottesdienste und sonstige Versammlungen von Hauskirchen in China stattfinden. Bei diesen Razzien werden die Leute gefilmt, ihre Pässe überprüft, sie werden teilweise mißhandelt, verhört oder in Arrest für kurze oder längere Zeit genommen.
Von Chinaaid wird zum Beispiel am 27. Januar 2007 eine Praxis beschrieben, von der ich zuvor nichts wußte:Auf den Gottesdienst einer Hauskirche wurde eine Razzia durch Polizisten der örtlichen Polizeistation, des "Public Security Bureau" (PBS) durchgeführt. Drei Christen wurden zur Polizeiwache mitgenommen und nach Befragung entlassen. Sie wurden davor gewarnt, ohne Erlaubnis wieder eine Versammlung abzuhalten.
CAA has learned local police raided a house church worship service in Zhangchong Township, Jinzhai County, Anhui province on January 24, 2007. Three Christians were taken to the police station and released after interrogation.
According to eyewitnesses, the raid happened around 10:00 AMwhen some Christians were having their worship service. Policemen from the County Public Security Bureau (PSB), local police station, county criminal police squad, and officers from the county Religious Affair Administrative Bureau broke into the house. They took pictures of every Christian in the room and asked for their names and identities.
The police then released most of the Christians and took three church leaders to the police station for interrogation. The police confiscated Bibles, hymn books, acoustic equipment, a blackboard, and the tither box without any legal procedure.
The police warned the three church leaders that they are not allowed to gather without the registration to the government.
Die evangelische Nachrichtenagentur Idea meldete am 3. Januar 2007, daß es in Peking zur Zeit zwischen 2000 und 3000 Hauskirchen gebe:
Die Hauskirchen, die in ländlichen Regionen schon lange verbreitet sind, blühten jetzt auch in den Städten auf, heißt es in einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Diese Gemeinden würden von der staatlichen Obrigkeit misstrauisch beobachtet. Sie schwanke zwischen Duldung und Verfolgung. Allein in Peking gebe es zwischen 2.000 und 3.000 Hauskirchen, hingegen nur acht offizielle Kirchen der protestantischen und vom Staat überwachten Drei-Selbst-Bewegung. Sie hat nach offiziellen Angaben 18 Millionen Mitglieder. Schätzungen über die Zahl der Katholiken bewegen sich zwischen zwölf und 18 Millionen; davon sollen rund sechs Millionen regimetreu sein. Die Partei könne das Wachstum der Hauskirchen nicht mehr aufhalten und versuche deshalb, sie zu kontrollieren, so die FAZ. Sie zitiert einen Hauskirchen-Repräsentanten mit den Worten: Die Polizei weiß von unseren Hauskirchen, aber sie belästigt uns nicht. Man beobachtet uns, man hat uns bedeutet, wir sollten keine Ausländer zu unseren Zusammenkünften lassen und die Gruppe nicht zu groß werden lassen. Manche Provinzen gehen jedoch verschärft gegen die Hauskirchen vor. So wurden nach Angaben der US-amerikanischen Hilfsorganisation China Aid von Mai 2005 bis Mai 2006 in 15 Provinzen fast 2.000 Christen festgenommen.
Interessant darauf der Hinweis - zehn Tage nach Bernhards Tod: "Man hat uns bedeutet, wir sollten keine Ausländer zu unseren Zusammenkünften lassen."
Nach dem Schock über Bernhards Tod und nachdem Bernhards Vater mit der Asche seines Sohnes aus Peking zurückgekehrt war, herrschte bei uns Ratlosigkeit. Wir standen wie vor einer undurchdringlichen Wand, einer Mauer aus Schweigen.
Danach fingen wir an, nicht nur im Internet, sondern auch in der Realität zu recherchieren.
Mein Mann hatte aus Bernhards Zimmer in China alle Schriftstücke, Zettel und Notizen mitgenommen. Das waren sehr viele. Er suchte nach chinesisch sprechenden Menschen, suchte verschiedene von ihnen auf und ließ sich alles ins Deutsche übersetzen. Es ergab sich nirgendwo ein brauchbarer Hinweis.
Ich las nun in den Tage- und Notizbüchern von Bernhard (nur das letzte Notizbuch hatte mein Mann aus Peking mitgebracht, die vorherigen waren bei uns zuhause aufbewahrt) und fand darin viele Hinweise. Es ging daraus hervor, daß er zum Beispiel auch Kontakt hatte mit Chinesen, die sich auf die Taufe vorbereiteten. Die chinesischen Christen dürfen ohne offizielle Genehmigung keine Kontakte zu Ausländern unterhalten, um die Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften zu wahren. Ich fand verschiedentlich e-mail-Adressen, die er in seinen Tagebüchern notiert hatte. Ich schrieb an diese Adressen einen kurzen Text auf englisch mit der Bitte, mit mir Kontakt aufzunehmen wegen Bernhard Wilden.
Manche E-Mails kamen als unzustellbar zurück, auf manche E-Mails kam keine Antwort, aber einige wenige antworteten. Damit hatten wir einen ersten Ansatzpunkt und Kontaktadressen. Mitte August 2007 kam eine Ansichtskarte aus Peking, die an Bernhard adressiert war. Der Text der Postkarte war in chinesischer Schrift, aber der Schreiber gab seine Adresse in unserer Schrift an. Es war jemand, der sich wohl nicht erklären konnte, warum Bernhard plötzlich verschwunden ist. Wir schrieben ihm auf englisch zurück, aber er meldete sich danach nicht mehr - zunächst. Wir fanden eine Person, die das Gebäude aufsuchte, an dem Bernhard tot aufgefunden worden war, und uns eine kleine Fotoserie dazu schickte. Damit wußten wir erstmals, wie das Gebäude aussieht.
Irgendwann entstand bei meinem Mann der Plan, eventuell im Laufe des Jahres noch einmal eine Reise nach Peking zu unternehmen und selbst das Gebäude zu sehen, an dem unser Sohn den Tod gefunden haben soll. Er wollte auch mit Personen sprechen, die Bernhard nach dem Tod identifiziert hatten.
Mein Mann ließ von einem chinesischen Techniker Bernhards Handy wieder funktionsfähig machen. Damit hatten wir Zugang zu dem Telefonbuch des Handys sowie zu den letzten Anrufen und SMS.
Bernhards Vater bereitete seine Reise nach Peking gut vor und suchte sich dafür einen privaten Dolmetscher.
Am 26. November 2007 wäre Bernhard 25 Jahre alt geworden. Wir zündeten an diesem Tag auf seinem Grab 25 Kerzen an, und einen Tag später reiste Bernhards Vater nach Peking.