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Unmittelbar nachdem wir die Nachricht vom Tode Bernhards erhalten haben, ließen wir eine Todesanzeige im Kölner Stadt-Anzeiger veröffentlichen. Danach erhielt ich einen Telefonanruf eines jungen Mitarbeiters dieser Zeitung. Er stellte sich vor als Schulkamerad von Bernhard; er sei zur gleichen Zeit in dasselbe Gymnasium gegangen wie Bernhard und habe ihn gekannt.

Mehrmals sprach ich mit ihm, teilweise bei mir zuhause, eingehend über das, was passiert war, wobei wir im Grunde genommen ja gar nichts wußten, außer daß Bernhard tot war. Ich konnte mir nicht annähernd vorstellen, was in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember in Peking passiert sein konnte, wobei Bernhard ums Leben kam. Ich erzählte unter Schluchzen, was ich wußte, nämlich von Bernhards Anruf und seinen letzten E-Mails und auch, wie der Fortgang in Peking war, daß wir Bernhard nach Deutschland überführen lassen wollten und daß dies letztendlich praktisch nicht möglich war. Bernhards Vater weilte zu dieser Zeit noch in Peking. Am 30. Dezember 2006 erschien im Kölner Stadt-Anzeiger ein Artikel über Bernhards Tod.

Bernhard schickte mir ab und zu Hinweise auf Artikel in kath.net, einem katholischen Nachrichtendienst im Internet. Kath.net und die Internetseite des Vatikan waren die wichtigsten Quellen, bei denen er sich in China über aktuelle Nachrichten aus der katholischen Kirche informierte. Ich wußte auch, daß er Teilnehmer an dem Diskussionsforum auf kath.net war und wollte alle Spuren unseres Sohnes nun verfolgen. Also schrieb ich an kath.net, und am 4. Januar 2007 brachte kath.net ebenfalls einen Artikel über Bernhard.

Am 3. Januar 2007 wurde der Todesfall Bernhard Wilden im Internet von der Seite http://www.china-intern.de aufgegriffen. Diese Seite kritisiert die kommunistische Partei Chinas. Dort war die Rede von dem "Büro 610" - das war mir völlig unbekannt, und dazu sind nun ein paar Anmerkungen zu machen.

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Laut Wikipedia, der freien Enzyklopädie im Internet, soll das "Büro 610" angeblich der Kurzname eines speziellen chinesischen Überwachungsnetzwerkes sein, das in China verbotene religiöse Gruppen, insbesondere die Anhänger von Falun Gong verfolgt.

Es soll am 10. Juni 1999 auf Anordnung von Jiang Zemin gegründet worden sein. Jiang war Staatspräsident der Volksrepublik China von 1993 bis 2003. Abgeleitet von dem Datum der Gründung dieses Netzwerkes (auf Englisch '6-10') wird diese Organisation kurz "Büro 610" genannt. Nachdem internationale Medien über die Aktivitäten der Organisation berichteten und die Organisation und ihre Leiter in mehreren Prozessen genannt wurden, verkündeten chinesische Behörden die Auflösung der Organisation. Doch bis zum heutigen Tag taucht der Name dieses Organs weiterhin in Berichten über Menschenrechtsverletzungen in China auf.

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Auf der offiziellen  Internetseite der amerikanischen Regierung steht zum Büro 610 folgender Satz:

Falun Gong cases are often handled outside normal legal procedures by a special Ministry of Justice office, known as the 610 office. During the past year, the 610 office was implicated in many allegations of abuse.

(Falun Gong Fälle werden oftmals außerhalb der legalen Vorschriften behandelt durch eine besondere Einrichtung, die als Büro 610 bekannt ist. Während der vergangenen Jahres wurde oftmals behauptet, daß dieses Büro Rechtsmißbrauch betrieb.)

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Die Falun Gong-Organisation schreibt zum Büro 610 auf einer ihrer Internetseiten am 11.11.2005:

Eine Messlatte für Glaubwürdigkeit (Anm.: der kommunistischen Regierung der VR China)  ist z.B. die Auflösung des „Büro 610“. Diese Einrichtung der chinesischen KP ist für die systematische, landesweite Planung und Ausführung von Menschenrechtsverletzungen - vor allem an Falun Gong Praktizierenden und Christen - verantwortlich.

Die IGFM (Anm.: Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) fordert von Hu Jintao und der Führung der Kommunistischen Partei Chinas:

die bedingungslose Auflösung des „Büro 610“ und Freilassung aller Gewissensgefangenen, (…)

die Beendigung der Kriminalisierung von Anhängern nicht registrierter Kirchen und Kultbewegungen, die verfolgt und mit oder ohne gerichtliche Prüfung und mit oder ohne rechtskräftiges Urteil jahrelang in Umerziehungslagern festgehalten und gequält werden;

sie fordert Freilassung aller Priester, Bischöfe und anderer Kirchenleiter; eine Entschuldigung bei denen, die ohne Rücksicht auf ihr hohes Alter in Gefängnisse gesteckt werden oder deren Aufenthaltsort verschwiegen wird.

die Aufhebung des im Juli 1999 verhängten Verbots von Falun Gong, das eine staatliche Verfolgung legitimiert, durch die bisher über 1.500 Praktizierende zu Tode kamen.

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 Falun Gong merkt  an einer anderen Stelle über das Büro 610 im Internet an:

Anweisungen wie "alle Todesfälle gelten als Selbstmorde" und "bei Todesfällen identifiziert nicht die Opfer, sondern verbrennt ihre Körper sofort" sind im ganzen Land in Kraft. 

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Auf dem christlichen Internetportal Livenet heißt es am 29.10.2005:

China: Sicherheitsbeamte berichten über religiöse Verfolgung

Chinesische Überläufer erstatten erstmalig Bericht über Verfolgung und Geheimdienstpraktiken, welche auch gegen religiöse Gruppen gerichtet sind. (...) „Im Rahmen meiner Arbeit für das Büro 610 (Sondereinheit der KP für die Verfolgung von religiösen Gruppen), in das ich gegen meinen Willen versetzt worden bin, und das zu verlassen mir nicht gestattet war, erlebte ich, dass das Büro, das ursprünglich nur für Falun Gong zuständig war, eine Auftragserweiterung erhalten hatte. Neben Falun Gong und anderen Qi-Gruppen verfolgt 610 jetzt insgesamt 14 religiöse Gruppen, darunter auch die evangelischen Hauskirchen und romtreue Katholiken. Das Büro ist planerisch und exekutiv tätig“, erzählt Fengjun Hao.

Und schließlich ist auf der Seite des Verfassungsschutzes des Landes Baden-Württemberg angemerkt, daß im Juni 2005 zwei chinesische Überläufer in Australien um politisches Asyl gebeten haben. Es handelt sich um den ersten Sekretär und Konsul für politische Angelegenheit des chinesischen Konsulats in Sydney sowie einen Mitarbeiter des Sicherheitsorgans "Büro 610".

 

Mit diesem Mitarbeiter des Büro 610 mit dem Namen Hao Fengjun führte die Epoch Times ein Interview durch, welches nachzulesen ist auf

http://www.epochtimes.de/articles/2005/06/11/3317.html

Mehr zu der Verfolgung von Falun Gong durch den chinesischen Staat auch hier.


Von allen diesen Dingen hatte ich bis dahin keine Ahnung. Ich vertraute der Propaganda der chinesischen Regierung, dem allem Augenschein nach völlig freien religiösen Leben in der Kirche und hielt Falun Gong als konsequente Kritiker der Kommunistischen Partei Chinas für Feinde des chinesischen Staates.

Am Tag der Urnenbeisetzung mit Bernhards Asche erhielt ich eine e-Mail einer Redakteurin der Zeitung "Die Neue Epoche". Noch immer hatte ich gewisse Vorbehalte gegen Falun Gong und die Zeitung "Die Neue Epoche", die miteinander verknüpft sind. Mein Mann und ich führten danach ein aufschlußreiches Gespräch mit zwei Mitarbeiterinnen dieser Zeitung, und am 10. Januar 2007 in der Neuen Epoche ein Artikel über Bernhards Tod: Tod in Peking - Warum starb Bernhard Wilden

Ein Jahr später erschien am 10. Februar 2008 ein Artikel in der WELT AM SONNTAG: Töteten Chinas Agenten einen jungen Deutschen?


Was nun die Reaktionen der Behörden betrifft: Es gab keine.

Am Vormittag des 24. Dezember 2006 erhielten wir die Todesnachricht. Etwa zwei Stunden später kam ein Polizeibeamter und brachte uns zum Präsidium. Dort sprach mit uns ein Beamter; was wir sagten, interessierte ihn nicht.

Auf meinen Wunsch hin kam es am 24. Januar 2007 zu einer Unterredung mit einem Beamten im Kölner Polizeipräsidium. Der Beamte war freundlich, und das Ergebnis gipfelte in der Frage: "Und was stellen Sie sich jetzt vor, was wir tun sollen? Sollen Beamte von uns nach Peking reisen und dort ermitteln?" Diese Frage stellte er zu Recht: Das wäre nicht vorstellbar gewesen.

Später erhielten ich einen Brief von einem Kölner Staatsanwalt mit Datum vom 13.3.2007. Er schrieb darin, daß er das Verfahren eingestellt habe.

Schon zuvor, am 8. Januar 2007, hatte ich ein Schreiben an den  deutschen Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier nach Berlin geschickt mit einer detaillierten Schilderung des Falles.

Wenig später - mit Datum vom 11. Januar 2007 - ging ein siebeneinhalbzeiliges Antwortschreiben des Auswärtigen Amts ein. Ein Mitarbeiter sprach uns - auch im Namen des Außenministers - sein "tief empfundenes Mitgefühl" aus. Falls es "weitere Entwicklungen" gebe, werde uns die deutsche Botschaft aus Peking selbstverständlich unverzüglich informieren.

Als Reaktion auf diesen Brief des Auswärtigen Amtes schrieb ich noch am selben Tag an die Deutsche Botschaft in Peking eine e-Mail.

Die deutsche Botschaft antwortete mir einen Tag später und zählte im wesentlichen noch einmal den Ablauf bei dem Besuch meines Mann auf. Am 29.12.2006 sei ein abschließendes Gespräch mit meinem Mann geführt worden, wobei die begrenzten Möglichkeiten aufgezeigt worden seien, nach erfolgter Einäscherung noch weiter Aufschluß über die Todesursache zu gewinnen.

Eine erneute Mail von mir an die Deutsche Botschaft in Peking mit dem Hinweis, daß nunmehr Verdachtsmomente bestehen, die zum Zeitpunkt des Todes unseres Sohnes noch nicht bekannt gewesen seien, wurde nicht mehr beantwortet.

Am 18. Februar 2007 schrieb ich einen Brief an die Botschaft der Volksrepublik China in Berlin und schilderte den Fall. Ich habe um Angabe eines Termins gebeten, um die Botschaft in Berlin aufzusuchen und verschiedene Fragen zu erörtern.

Auf diesen Brief erhielt ich keine Antwort.

Am 28. Januar 2007 schrieb ich erneut an das Auswärtige Amt und bat den Außenminister, in der Sache Ermittlungen anzustellen, wozu wir keine Möglichkeit hatten. Dabei zählte ich ihm alle unklaren Fragen und mögliche Ansatzpunkte auf.

Dieses Schreiben von mir an das Auswärtige Amt blieb unbeantwortet.

Am 5. Mai 2007 schrieb ich einen Brief an den chinesischen Premierminister Wen Jiabao in Peking.

Wenige Tage darauf ging ein Brief des Botschafters der Volksrepublik China aus Berlin bei mir ein, den er persönlich unterzeichnet hatte.

Der Botschafter schrieb, daß unser Sohn ein guter Student gewesen sein. "Er hielt fest an der Disziplin und den Vorschriften der Universität und dem Gesetz Chinas und war nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten" hieß es weiter. Und außerdem soll er nach der Untersuchung vor Ort des Polizeiamtes der Stadt Beijing und der Überwachungs-Videoaufnahme der Universität für Bergbau Chinas am 23.12.2006 um 5.13 Uhr alleine die Feuerschutztreppe des Wissenschafts- und Technikgebäudes der Bergbauuniversität hinaufgegangen sein. Um 5.29 Uhr soll er sich hinuntergestürzt haben.

Über diese angeblichen Gewißheit und einen angeblich so genauen Nachweis legten wir eine Denkpause ein. Danach überlegten wir, wie nun vorzugehen sei. Der Botschafter selbst hatte geschrieben, was ihm aus China vorgegeben worden war.

Ich wollte die Wahrheit wissen, wenn es die Möglichkeit gab, die Wahrheit zu erfahren. Und wenn ein Video existiert, dann sollte es auch möglich sein, dies zu sehen. Und wenn darauf zu sehen wäre, daß Bernhard selbst in den Tod sprang, dann wäre ich bereit gewesen, das zu akzeptieren. Vielleicht wäre ich sogar ein wenig erleichtert gewesen - denn es wäre ja dann seine eigene Entscheidung gewesen und ich hätte sicher sein können, daß er nicht Opfer eines Verbrechens geworden war.

Ich wollte das Video sehen.

Am 8. Juli 2007 bedankte ich mich bei dem chinesischen Botschafter für seinen Brief und äußerte meine Zweifel hinsichtlich der Selbstmordthese. Ich bat darum, daß mir das entsprechende Video zur Einsichtnahme übersandt wird.

Am 5. Oktober 2007 rief ein Mitarbeiter von der chinesischen Botschaft in Berlin bei uns an. Er sprach, da wir abwesend waren, auf unseren Anrufbeantworter und sagte, daß man sich bei der Polizei in Peking nach dem Video erkundigt habe. Die Polizei habe mitgeteilt, daß diese Original-Kassette ein Beweis sei, der bei der Polizei in Peking verbleiben müsse. Er bat um Verständnis darum, daß er uns daher das Video nicht zur Verfügung stellen könne.

Ich war jedoch der Meinung, daß nunmehr die Stunde des Beweises gekommen sei. WANN und wo sollte denn dieses Video überhaupt als Beweis dienen, wenn nicht jetzt?

Im Laufe dieses Jahres hatten wir verschiedene Recherchen angestellt (davon mehr hier) , und mein Mann hatte den Plan gefaßt, irgendwann noch einmal nach Peking zu reisen, um das Gebäude aufzusuchen, an dem unser Sohn gestorben war. Monatelang wußten wir nicht, wo dieses Gebäude lag und wie es aussah. Im Sommer 2007 jedoch machte jemand für uns in Peking Fotos von dem Gebäude und hatte uns diese übersandt einschließlich einer Wegbeschreibung dorthin. Inzwischen, also im Oktober 2007, war der Entschluß für diese Reise herangereift, und  die Vorbereitungen und Planungen dafür waren durch meinen Mann soweit fortgeschritten, daß wir die Reise für November planen konnten.

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